Die Band im Steampunk-Outfit Pressefoto (c) Ann Buster

Ihr wollt wissen, was euch auf “Das Schwarze Einmalseins” musikalisch und inhaltlich erwartet? Hier findet ihr eine ausführliche Track-für-Track-Rezension!

Einige der Tracks wie den Opener „Früher war alles besser“ kennen einige von uns schon von Konzerten.  Ein Song der nach ersten Publikums-Reaktionen als eher untypisch für die Band bewertet wurde. Nanu, hieß es, Tote Hosen mit Dudelsack? Warum nicht? Denn, wie man sich in Erinnerung rufen muss: Saltatio Mortis haben ihre Karriere mit dem Slogan „Mittelalter-Punk vom Feinsten“ begonnen. Und so ertönt nach einem charmanten Retro-Vinyl-Soundeffekt eine muntere Melodie, zu der Alea den Abgesang auf verklärte Nostalgie vorträgt, wobei absurde Behauptungen (früher waren alle Frauen schön“)  mit solchen kontrastieren bei denen man sich ertappt, im Grunde zustimmen zu wollen. Lasst das Gestern ruhen, jammert nicht über Vergangenes – macht es hier und jetzt besser, heißt die Botschaft. Obwohl Lasterbalk mit der Aussage „(früher) wurden Lieder noch erworben und Musik noch nicht geklaut“ jedoch durchaus recht hat und damit ein deutliches Statement der Band zum Thema abgibt, mit dem die leidige Raubkopierdebatte sich in der Fangemeinde hoffentlich endlich erledigt hat.

Zu „Wachstum über alles“ ist anderenorts schon eine ganze Menge gesagt worden. Die Diskussion einerseits um die Wirtschaftskritik, andererseits um die nicht unumstrittene Variation auf die deutsche Nationalhymne, die einige Zeitgenossen wohl komplett in den falschen Hals bekommen haben, hat bei Veröffentlichung der Single schon für einige Aufmerksamkeit gesorgt. Dazu gab es das legendäre Video mit dem kopflosen Alea und einen offenen Brief der Band mit einem umfassenden Statement zur Aussage des Songs. Abgesehen davon, dass man sich tatsächlich plötzlich bisweilen dabei ertappt, die (meines Erachtens ganz ohne den politischen Kontext betrachtet) sehr schöne klassischen Melodie eines Herrn Haydn zu summen, gefällt hier vor allem Lasterbalks Demontage und Neuarrangement des zugehörigen Textes, wobei Tollkühnheiten wie etwa eine Verballhornung von „Vaterland“ zu „Kontostand“  den textlich-intellektuellen Reiz ausüben.

Doch Wirtschaftskritik ist nicht das einzige aktuelle Thema, auf das Saltatio Mortis eingehen. „Krieg kennt keine Sieger“, heißt ein weiteres Statement auf „Das Schwarze Einmaleins“. Wobei es hier vornehmlich um „Glaubenskriege“ geht, bei dem Menschen durch religiösem Fanatismus angetrieben, in den Krieg ziehen. Das ist kein Thema, dass nur aktuelle Konflikte in islamischen Ländern betrifft ( denken wir nur an die Kreuzzüge in der europäischen Vergangenheit) und somit zeitlos-abstrakt aufbereitet wird . Ein schönes Saiten-Intro geht fließend in ein aggressives E-Gitarren-Dudelriff über, und Alea kommt in emotional geladenem Gesang zum Schluss, dass nur der Tod Gewinn aus dem Krieg zieht. „Aus dem Vater und dem Sohn werden Gotteskrieger“ – auch hier zeigt sich Lasterbalks Sprachgespür.

Jewelcase-Cover
Cover der Jewel Case Edition

Weiter geht es mit einem Universalthema: „Der Kuss“. Aber nicht rosarote Romantik, wie man fälschlich denken könnte, ist hier das Thema: Melancholisch-munter wird die ermahnende Geschichte von einem Mädchen erzählt, das sich– ohne Liebe, nur aus Lust motiviert, für Zärtlichkeiten bezahlen lässt, dann aber feststellen muss, wie am Ende mit fortschreitendem Alter ihr Wert fällt – und ihre Gier nach Küssen zum Problem wird. Der Refrain des Liedes ist eingängig und hat denkbar großes Hitpotenzial – mutmaßlich gerade  beim weiblichen Teil der Fangemeinde.

Saltatio Mortis wären nicht Saltatio Mortis, wenn es nicht auch historisches Material in neuem Klanggewand zu hören gäbe. Und da man neuerdings an Musik aus Schottland kaum noch vorbei kommt, interpretieren die Spielleute ein Werk des in Schottland hochberühmten Dichters Robert Burns (1759 – 1796). „My Bonnie Mary“ beschreibt die Gedanken eines Mannes an seine Geliebte, während er sich anschickt, per Schiff in den Krieg zu ziehen. Besonderer Leckerbissen: Alea trägt das Lied mit schottischem Dialekt vor.

Natürlich dürfen auf einem Saltatio Mortis-Album Beiträge aus Märchen- und Mythenwelt nicht fehlen. Diesmal hat der Sandmann seinen Auftritt, lose inspiriert wahrscheinlich einerseits durch E.T.A. Hofmanns gleichnamige Schauer-Novelle, zum anderen durch den ungleich freundlicheren „Ole Augenschließer“ von Hans-Christian Andersen. Wunderschön melodisch, ebenso kraft- wie gefühlvoll vorgetragen  interpretiert Alea den Sandmann als subtil bedrohlichen Traumbegleiter, zum Liedende hin unterstützt von Chören nebst einer Kinderstimme. Einfach großartig und ein Ruhepunkt auf dem Album nach all den eher lauten und schnellen Songs.

Doch mit der Ruhe ist es schnell vorbei: Luzifer höchstpersönlich tritt auf, schnell, hart, laut. Und erscheint in „Satans Fall“ keineswegs als das absolute abstrakte Böse, sondern überraschend menschlich: Der „erste Engel“ beklagt seinen Fall, den er selbst durch seinen Hochmut verursacht hat, und seine neue Rolle als Wächter der Unterwelt, was nicht ohne Tränen, wenn auch glühende, abgeht.  An des Teufels Beispiel lernen wir: Jeder muss die Konsequenzen seines Handelns selbst tragen, und der Absturz kann extrem tief sein. Musikalisch interessant ist ein melodischer Umschwung vom Rocksong in einen interessanten neuen Rhythmus innerhalb des Liedes.

Im nächsten Song, „Idol“, erkennt der erfahrene Totentänzer ein Thema, das innerhalb der Saltatio Mortis-Community schon einmal für heftige Diskussionen sorgte: Inwieweit sind die – ist ein – Künstler verpflichtet, eine Vorbildfunktion zu erfüllen, sobald er in der Öffentlichkeit steht –zum Beispiel hinsichtlich  Alkoholkonsum und „politisch korrekter“ Sprache und  auf Märkten und Vergleichbarem? Inwieweit sind Menschen überhaupt verpflichtet, Vorbild zu sein? Das rockig vorgebrachte  und von halsbrecherischen Gitarrenläufen begleitete Statement ist klar: Niemand soll versuchen, andere zu idolisieren und  Ansprüche und Erwartungshaltungen auf andere zu projizieren, denen diese nicht entsprechen können oder wollen.

„IX“, natürlich nicht wie in“ xy ungelöst“ sondern als römisches Zahlzeichen für „neun“ bring mit sehr viel Drive und schönen Wechseln zwischen hartem Rocksound und Dudelpassagen in einem recht kryptischen Text Zähl- und Rechenbeispiele von Wendungen wie den „vier Jahreszeiten“ bis hin zur „neunmal verfluchten Kunst“ und schlägt so die Brücke hin zum Albentitel – nun kommt das Einmaleins ins Spiel. Bevor wir jedoch erfahren, wozu das ganze dienen kann, wird es noch einmal historisch:

Mit der Galgenballade ist auch für die Mittelaltermusikfreunde ein Titel nach einer historischen Vorlage von François Villon dabei. Der lebte  1431-1463 und war ein berühmter französischer Dichter mit spektakulärer Biographie im Kriminellenmillieu, was seiner Dichtung erschreckend authentischen Hintergrund verleiht.  Alea trägt Intro und Zwischentexte mit eindrucksvoller, extra-räudiger Stimme vor. Zu eingängiger Melodie wird Kritik an Mächtigen geübt und das eigene Schicksal als Rechtloser beklagt – ein Lied mit Ohrwurm-Qualitäten.

„Abrakadabra“: Da haben wir ihn, den wohl ultimativen Mitsing-Song. Nach einem orientalischen Intro gibt Alea den Schwarzmagier, der belesen in gängigen Zauberbüchern und vertraut mit gängigen Praktiken – sicherlich auch mit oben erwähnten magischen Zahlenspielen ist. Der Song hat Tempo, ist basslastig, lange Instrumentalstrecken und getragenen Refrain. Insgesamt erinnert der Titel wenig an ein Crossover aus Subways „Sieben“ und ASPs „Denn ich bin der Meister“ und reiht sich somit perfekt in die Reihe der „zauberhaften“ Lieder der Szene ein.

Die Band im Steampunk-Outfit
Pressefoto (c) Ann Buster

Gegen Ende des Albums wird es dann noch einmal bitterböse: Nur ein Traum beschriebt  sehr schnell und von Gitarre, Bass und Schlagzeug getrieben in mittelalterlicher Metaphorik wie Tugenden wie Gerechtigkeit, Mut etc. außer Gefecht gesetzt bzw. hingerichtet werden. Kleine Kritik an dieser Stelle: Vor allem im Refrain ist Alea bei lautem Gesang stellenweise etwas schwer zu verstehen.

Abschließend gibt es mit „Randnotiz“ noch einen historischer Text: Die berühmten Zeilen „Du bist mîn“, die als Kritzelei auf einem um 1200 verfassten Briefmanuskript  gefunden wurden und im historischen Kontext die erste überlieferte deutschsprachige Liebesdichtung einer Dame sind. Alea singt  mit Gaststar- Sängerin Emma Härdelin von Garmarna. Das von Klavier und Saiten getragene Stück bietet einen wunderschönen Ausklang für ein grandioses Album.