Dass Musiker sich über ein visuelles Medium neu erfinden, ist an sich keine neue Idee. Schon die Beatles haben es getan – wer kennt ihn nicht, den psychedelischen Kult-Trickfilm um das gelbe U-Boot? Dass eine Band sich selbst in eine Comic-Welt, also eine Abfolge statischer Bilder transferiert, passiert nicht so oft. Und auf die Idee, das Ganze dann noch in einer alternativen Realität voller anachronistischer Maschinen, Rost und Zauberei stattfinden zu lassen, können eigentlich nur Musiker kommen, deren eigene Persönlichkeit durch Einflüsse wie Comics und Fantasy-Rollenspiele geprägt wurde.

 

SaMo-Comic-Die-Erzkanzlerin_Shopgrafik_WebNatürlich geht es um Saltatio Mortis und den ersten Teil der Steampunk-Comic-Serie um das „Geheimnis des schwarzen IXI“.  Was aber hat es auf sich mit dem „IXI“ (lies: Einmaleins)? Zunächst einmal war dies der Titel des aktuellen Studioalbums der Band, erschienen im Sommer 2013, dem im Herbst des Jahres und nun im Frühjahr 2014 Tourneeblöcke folgten. Saltatio Mortis, von den Fans meist schlicht „SaMo“ abgekürzt, spielten jedoch nicht nur vor ausverkauften Sälen und erreichten mit dem Album einen traumhaften Nummer-Eins-Einstieg in den deutschen Alben-Charts: Von Anfang an war das IXI-Projekt als fachübergreifendes Gesamtkunstwerk angelegt, das Musik, Text, die visuellen Elemente der Show (inklusive der aufwändigen Kostüme der Musiker) und letztlich auch das fiktionale Abenteuer der Band in der Comic-Welt umfasste, in die acht modernen Spielleute ebenfalls ihr Credo von Freiheit, Mut, Nonkonformismus und der Kraft der Musik zelebrieren.  Man kennt Saltatio Mortis von den Bühnenshows als temperamentvolle Power-Truppe – Kult sind  die Kung-Fu-Inspirierten Moves von Frontmann Alea. Was Wunder also, dass es auch im Comic sehr actionreich zugeht. Wie die Spielleute mit gut gezielter Magie und Kampfkraft einen angreifenden Riesen-Kampf-Roboter zerlegen, ist ganz großes Kino… Nur eben in gezeichneter Form.

Endlich liegt nun auch der von der Fangemeinde lang ersehnte Auftaktband in Großformat, Hardcover und farbenprächtigem Glanzdruck vor. Eindringliche visuelle Eindrücke von einer düsteren, verwüsteten Welt, präsentiert in hochwertigster Ausstattung, sind nicht nur ein Muss in der Sammlung jedes SaMo-Fans, sondern auch ein Genuss für einen Comic-Fan als solchen.

„Die Erzkanzlerin“ heißt das Bildepos, das den Leser in die postapokalyptische Szenerie von Erebeum entführt, eine Welt, die in ihren Zügen augenfällige Bezüge zu der unseren, aber offenbar eine alternative Historie hinter sich hat. Jedenfalls sind die kriegerischen, militärisch hochgerüsteten „Stahlstaaten“ unter Führung ihrer Erzkanzlerin dabei, mit Roboterarmeen und großer Kriegsmaschinerie den ganzen Planeten zu unterwerfen. Aber natürlich gibt es Helden, die sich das nicht so ohne weiteres gefallen lassen: Die Spielleute von Saltatio Mortis sind mit dem Circus Ascensus – einer Hommage an das reale Mittelalter-Kultfestival „MPS“ – unterwegs, einer Underground-Event-Bewegung, die den Menschen von Erebeum in den harten Zeiten Musik und Freude bringt. Was niemand ahnt: Nebenbei sind die Spielleute magisch begabte Helden, die gemeinsam mit ihren kuriosen Helferlein (besonders Mini-Roboter Bibop wird die Herzen erobern!)  den Kampf gegen die machtgierige Erzkanzlerin aufnehmen.

Die Story beginnt dramatisch: Während eines Konzerts wird im Circus Ascensus ein Attentat auf den von seiner Arbeitgeberin, der Erzkanzlerin desertierten Professor Rasmus verübt und ein Maschinenungeheuer greift an. Während die Bandmitglieder Elsi, Jean und Lasterbalk den Roboter bekämpfen, vertraut der sterbende Professor den übrigen Spielleuten an, dass ein verborgenes Artefakt existiert, das erfolgreich im Kampf gegen die Erzkanzlerin und ihre Kriegstruppen eingesetzt werden könnte. Während Till und Luzi sich (als cooles Action-Duo und tollkühne Piloten) auf den Weg machen, um die „ Geheimwaffe“ zu bergen, hat die Erzkanzlerin bereits die Spur des Circus Ascensus aufgenommen und mobilisiert  einen Kampftitanen. Eine Konfrontation ist unausweichlich – und führt zu einem spektakulären Showdown… Doch hier soll nicht gespoilert werden.

Die Story wurde von Falk und Lasterbalk ersonnen, die Texte von Falk und „Zillo-Medieval-Redakteur“ Peter Sailer, einem langjährigem SaMo-Wegbegleiter, verfasst. Mit Matt Dixon, Dave Kendall und Kevin Crossley konnte Falk drei der renommiertesten britischen Künstler für das Projekt begeistern können. Diese drei erzählen die Geschichte in ihren verschiedenen Zeichenstilen, unter wohl besonders die Maschinenszenerie von Crossley – eine Art „Giger mit Rost“ – besonders eindrucksvoll hervorsticht. Die optisch überwältigenden Einblicke in die düstere Stahlwelt der Erzkanzlerin und ihrer üblen Pläne, das kuriose Arsenal der Spielleute und sehr eindrucksvolle organische Monster begeistern über die gesamte Länge der Geschichte hinweg, in der es in keinem einzigen Panel langweilig wird – im Gegenteil, die Story legt ein enormes Tempo vor und reißt den Leser mit in den Strudel der Ereignisse, wobei leider ruhige Momente oder Informationen etwas kürzer kommen. Wie dem auch sei: Man spürt, dass rund um Erebeum und seine Geschichte viel mehr Ideen und Hintergründe existieren, als allein in den Comic gepasst hätten.

Es sind aber auch kleine Details, die dem Comic neben all der düsteren Action seinen Charme verleihen. So der Umstand, dass Bruder Frank in asiatisch gestylten Lettern „spricht“, das Publikum vom Circus Ascensus sehr verdächtig an das einer beliebigen MPS-Veranstaltung erinnert – und das Design der Wunderwaffe lässt wohl keinen Zweifel daran, wessen Phantasie maßgeblich hinter der Geschichte steckt.

Mit dem „IXI“-Comic bringen Saltatio Mortis eines der interessantesten Crossover-Kunstwerke des Jahres in den Handel – ein Lese-Event, der Comic-Fans, die zuvor keine Berührungen mit Saltatio Mortis als Musiker hatten, ebenso begeistern dürfte wie Anhänger der Band, die nicht der Comic-Szene verhaftet sind. Mit 17,90 Euro befindet der Comic – angesichts der hochwertigen Ausstattung – in einem moderaten Preissegment. Bei Erfolg des Debüts sind Folgebände geplant – was angesichts der begeisterten Rezeption des Artbooks „Arteficium“ als Begeleitkompendium zu Album, Tour und Comic gar keine Frage sein dürfte.

Erhältlich ist der Comic „Das Geheimnis des Schwarzen IXI – Die Erzkanzlerin“ vorab im  Merchandise während des zweiten IXI-Tourblocks im März; über den Buchhandel verfügbar ist es ab dem 01. April. Natürlich kann bereits über Amazon vorbestellt werden.

Saltatio Mortis: Das Geheimnis des Schwarzen IXI. Bd. 1 Die Erzkanzlerin. Saltatio Mortis Medien und Verlag, ISBN 3-9816134-1-4