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Das wurde ja langsam auch Zeit: Im sechzehnten Jahr der Bandgeschichte veröffentlicht Napalm Records die erste Saltatio-Mortis-Best-Of-CD. Die Totentänzer haben sich die prächtig aufgemachte Band-Retrospektive genau angehört und sind der Meinung: Zwei tolle Scheiben, die bekannte Lieblingsstücke und neu entdecktes Material spannend aufbereiten.

Zweiundzwanzig bekannte und drei bisher unveröffentlichte Tracks präsentiert die aufwändig gestaltete Doppel-DC sowohl eingefleischten Fans als auch interessierten Einsteigern. Das Booklet mit künstlerisch abgelichteten Portraits der Spielleute – von Lasterbalk höchstpersönlich eingefangen –  zeigt die Gesichter der aktuellen Bandbesetzung jeweils in einer „schwarzen“ und einer „weißen“ Version. Dazu gibt es neben den vollständigen Songtiteln auch Informationen zur Urheberschaft der entsprechenden Texte und Kompositionen sowie dem ursprünglichen Veröffentlichungs-Ort. Das Booklet enthält außerdem ein Vorwort, das die Bandhistorie aus Sicht der Spielleute kompakt und emotional zusammenfasst, eine Auflistung der ehemaligen Bandmitglieder und Danksagungen, aus denen ersichtlich wird, wie viele Menschen im Hintergrund der Band arbeiten und aktiv sind.

 

Dass es sich bei dem Material der Best-Of nicht um Neuaufnahmen, sondern um neue Abmischungen von vorproduziertem Audiomaterial der alten Alben handelt, macht den Vergleich von Neu und Alt besonders reizvoll. Die neu abgemischten Titel als Alternativversionen zu den Originalen klingen hervorragend, teils signifikant anders. Aufmerksame Hörer entdecken zahlreiche kleine Details und Unterschiede in den Arrangements und der stimmlichen Interpretation durch Alea. In den Gesangsmelodien steckt stellenweise ein ausgeprägteres „Acting“, die Singstimme klingt in manchen Tracks „angerauter“, was den Titeln einen besondern Charme verleiht. Natürlich dürfen auch denkwürdige Gastauftritte wie der von Doro Pesch und Michael Popp (Qntal) in „Salome“ nicht fehlen.

 

Die Tracklist weist einen deutlichen roten Faden und eine Dramaturgie in der Thematik der Lieder auf, weshalb man zumindest bei den ersten Hördurchläufen auf Skip- oder Zufallswiedergabe verzichten sollte. So kommen wir vom – im Kontext mit einer Best-Of-Compilation durchaus ironischen –  „Früher war alles besser“ zum uralten Prometheus-Mythos – das Feuer als eine der ersten Kulturerrungenschaften der Menschheit, vom metaphorisch-allegorischen „Habgier und Tod“ folgerichtig zum modernen  „Wachstum über alles“,  assoziiert von den „Falschen Freunden“ zu deren Gegenstück im „Spielmannschwur“ und vom Spielmannsschwur zu den wiederum falsch verstandenen Schattenseiten des Fandom im „Idol“. Der Hörer gelangt von der Sehnsucht nach dem Traum von „Schloss Duwisib“ zum  „Lied vom traurigen Vogel“ (aka „Freiheit“), um schließlich beim „Koma“ zu landen, auf das die „Letzten Worte“ folgen. „Wir wollten Songs auswählen, die uns repräsentieren, ein rundes Bild von dem, als was wir uns selbst sehen“, sagt Lasterbalk über die Songauswahl.

 

Die Balance zwischen modern-lyrisch abgehandelten Themen und märchen- bzw. mythenhaften Inhalten ist gut gewählt: Eher Abstraktes (Ebenbild, Wachstum, Krieg kennt keine Sieger), Erzählendes (Salome, Eulenspiegel, Tritt ein) und Zeitloses (Nichts bleibt mehr, Letzte Worte) halten sich in die Waage und decken so die gesamte Bandbreite der Saltatio’schen Lyrikspektren ab.

Besonders interessant sowohl für Kenner als auch für Newbies sind natürlich die drei „neuen“ Bonus-Tracks, laut Auskunft von Lasterbalk Titel, die teils bereits bei mehreren Alben als reguläre Titel im Gespräch waren, es dann aber doch nicht auf die Tracklist geschafft haben.

Kleewiesen-interne Spekulationen vermuten, dass „Schöne neue Welt“ thematisch  schon als Vorbote zum „Zirkus Zeitgeist“ durchgehen könnte. Bei „Fatum“ mutmaßt die Rezensentin eine Post-Asche-Entstehungszeit – vielleicht erfahren wir von Spielmannsseite noch etwas Präziseres. „Weiß wie Schnee“ müsste – aufgrund des musikalischen Einbezugs von Till – bereits in die „IXI“-Ära“ gehören.

 

Was also gibt es Neues im Liederfundus? „Schöne neue Welt“, betitelt sicherlich in einer Anspielung auf den gleichnamigen dystopischen Roman von Aldous Huxley, thematisiert die Einschränkung von persönlicher Freiheit zugunsten einer vermeintlichen, von einer übergeordneten Instanz („Großer Bruder“) gewährleisteten Sicherheit, auch mit Hilfe von Datenkraken. Diese „Glaswerdung“ des Bürgers mit seinen persönlichen Daten und die letztlich Überwachung können jedoch schnell umschlagen in einen Überwachungsstaat, in dem die persönliche Freiheit ganz verlustig geht – Thema zahlreicher pessimistischer Zukunftsvisionen in der Kunst, die in den heutigen Datenschutz – und Privatsphäre-Diskussionen Niederschlag findet. Die Melodie dazu ist rhythmusgetrieben mit „abwärtsgerichtenten“ catchy Gitarrenriffs – eine akustische Umsetzung der „Absturzgefahr“- und mitsingkompatiblem Refrain.

 

„Fatum“ schildert in rückwärts erzählter Folge das Lebensschicksal eines Menschen bis zurück zu dessen Ur-Großvater und die Verwebung der Schicksale miteinander und touchiert nebenher Zentralthemen wie Krieg, Homosexualität, lieblose Ehen, Suizidität. Insgesamt ein aufgrund der Komprimierung auf kurze Schlaglichter etwas kryptischer Text, der sich mit der Frage von Schicksal, Vorbestimmung, Determinismus beschäftigt.  Melodisch schön gemacht mit Backvocals, vielen Instrumentadetails und Interludes im Refrainteil. Obschon treibend und rockig nimmt der Titel etwas Tempo aus der Tracklist – groovy.

 

„Weiß wie Schnee“ ist schließlich ein klassischer „Märchen“-Text, der sich entgegen erster Vermutungen nicht mit Schneewittchen, sondern mit der aus Grimms Märchen bekannten Frau Holle beschäftigt. Die alte Dame, deren Hausputz für Schnee auf Erden sorgt, geht allerdings in ihren folkloristischen Wurzeln auf eine germanisch/ nordische Gottheit zurück, die ebenso gütige wie furchterregende Seiten hat und sowohl mit ihrer Verantwortung für die Winterkälte als auch ihrem Appetit auf faule Kinder sehr bedrohlich wirkt. Das Lied funktioniert thematisch ähnlich wie die Ballade vom „Sandmann“ auf dem „IXI“ und steht dabei sicherlich repräsentativ für die bei den Fans sehr beliebten „Märchen-Lieder“. Schon im Vorfeld des CD-Release hatte „Weiß wie Schnee“ nach Veröffentlichung des Lyric-Videos schon durchweg positives Echo in der Fangemeinde gefunden. Nach einem atmosphärischen Intro mit Drehleier-Soundeffekt spielt der Dudelsack merklich mehr im Vordergrund eine komplex verzierte Melodie, die den Gesang stützt, das ganze zu flottem rockigen Rhythmus. Ein sehr schönes, stimmungsvolles Lied, auch hier wieder mit Backvocals.

 

Drei wirklich schöne neue alte Titel also, und frisches Material zum Überbrücken der Zeit bis zur nächsten regulären Studioproduktion.

 

Fazit: Das Doppel-Album ist ein Must-Have auch für Fans, die bereits die „Originale“ in der Sammlung stehen haben, denn die Überarbeitung der Musik bietet ein definitiv neues Hörerlebnis. Für Neueinsteiger, die Saltatio Mortis gerade erst kennen gelernt haben, stellt „Licht und Schatten“ eine gute Gelegenheit dar, sich über das  Schaffen der Band – zumindest bezüglich des Rock-Spektrums -einen umfassenden Überblick zu verschaffen. Ein wenig schade, aus konzeptionellen Gründen jedoch völlig nachvollziehbar  bleibt dennoch , dass die „Best Of“ nicht bei den allerersten, noch elektronisch beeinflussten Alben „Das Zweite Gesicht“ und „Erwachen“ beginnt (mit Ausnahme des später auf „Auf der Asche“, damals als Bonustrack der Limited Edition neu aufgelegten „Falsche Freunde“, damals bereits in einer Rock-Fassung). Verständlich, denn die experimentellen Frühwerke der Band sind im Vergleich mit der letztlich eingeschlagenen  musikalischen Linie nicht wirklich repräsentativ. Auch akustische Kostproben der Mittelalter-CDs oder Manufactum-Alben sucht man vergebens, was aber nicht wirklich ins Gewicht fällt, da der Akzent der Best-Of bewusst auf der rockigen Seite der Band liegt. Nicht umsonst trennen Saltatio Mortis auch Live Rock- von Akkustik-Shows.

 

Die Kleewiese empfiehlt: Genießt die akustische Zeitreise mit der Band!